«Ich habe zwölf Jahre lang versucht, genau diesen Krieg zu verhindern»

Ambassador Thomas Greminger

«Ich habe zwölf Jahre lang versucht, genau diesen Krieg zu verhindern»

Er verschrieb sein Leben dem Frieden zwischen Ost und West. Jetzt steht Thomas Greminger vor einem diplomatischen Scherben­haufen. Der Schweizer Sicherheits­experte hadert mit bisher geglaubten Wahrheiten. Und bereitet sich auf den Kalten Krieg 2.0 vor.

Er war einst der Schweizer Mann für den Frieden: Der Spitzendiplomat Thomas Greminger vermittelte jahrelang zwischen Russland und der Ukraine. Als Schweizer Botschafter und später Generalsekretär der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) war der Zürcher mit beiden Seiten vertraut: Nachdem Russland 2014 die Krim besetzt hatte, gehörte er zum Diplomatenteam, das versuchte, weitere Eskalationen zu verhindern. Greminger, heute Direktor des Genfer Zentrums für Sicherheits­politik, trifft die Republik an einem eisigen Dienstagabend beim Bundeshaus ums Eck. «Eigentlich müsste ich schweigen und kein Interview geben», sagt er.

Zehn Tage vor dem Kriegsbeginn am 24. Februar hatte Greminger das Gebaren des russischen Präsidenten Wladimir Putin noch als «militärische Muskelspiele» abgetan, rückblickend spricht er von «Säbelrasseln». Ein Krieg käme Putin viel zu teuer, sagte er damals, und der Nutzen für Russland sei nicht ersichtlich. Als Russland trotzdem in die Ukraine einmarschierte, war der sonst so pragmatische Spitzendiplomat «im Schockzustand».

 

Herr Greminger, droht jetzt der dritte Weltkrieg?
Ich denke nicht. Solange die Nato militärisch nicht in diesen Krieg eingreift, wird es keine nukleare und somit globale Eskalation geben. Aber nach meiner so profunden Fehl­einschätzung vor diesem Krieg kann ich für nichts mehr garantieren. Es ist kein Trost, aber damals hat praktisch mein ganzer russischer Bekannten­kreis nicht gewusst, dass ein Krieg geplant war. Heute sind Diplomaten wie Experten sehr, sehr vorsichtig. Sie äussern keine offene Kritik. Aber implizit kommt schon ein grosses Erstaunen zum Ausdruck, auch Ratlosigkeit und Ohnmacht.

 

Putin droht mit einem Atomschlag.
Zu Beginn des Krieges hat es in der Tat etwas verbales nukleares Zündeln gegeben. Dies ist jedoch inzwischen – vermutlich nach entsprechendem Einwirken anderer Nuklearmächte – eingestellt worden.

 

Gibt es irgendeine Hoffnung auf baldigen Frieden?
Ich habe versucht, über die Ukrainer herauszufinden, was bei den Verhandlungen in Istanbul ganz genau auf den Tisch kam. Aber es dringt praktisch nichts nach aussen – was bemerkenswert ist. Also lesen wir Experten zwischen den Zeilen. Da fällt auf: Obwohl die Russen stets behaupten, sie hätten klargemacht, was sie wollen, weiss es trotzdem niemand im Detail. Anzunähern scheinen sich die Positionen, wenn es um den künftigen Status geht. Also die Neutralität der Ukraine und als Gegenleistung Sicherheits­garantien der fünf permanenten Mitglieder des Sicherheitsrats und einiger weiterer Staaten. In diesem Punkt wird wohl bereits über konkrete Texte verhandelt.

 

Dieser Artikel wurde erstmals auf Republik veröffentlicht.

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